Selene hatte das letzte halbe Jahr in der Karibik verbracht um sich davon zu erholen schon wieder zur Witwe geworden zu sein. Ehemann Nummer dreiundzwanzig hatte ihr eine Yacht hinterlassen, aber ansonsten genauso wie seine Vorgänger völlig versagt. Selene hatte jede Nacht mit ihm verbracht, aber er hatte es nicht vermocht sie endlich schwanger werden zu lassen. Und wie jeder ihrer Männer starb er innerhalb von zwei Jahren Ehe an Herzinfarkt. Männer waren einfach nicht robust genug, um ihrem unstillbaren Verlangen nach Sex oder besser gesagt Fortpflanzung nachzukommen und verausgabten sich bis zu ihrem Tod. Zumindest starben sie glücklich.
Selene hatte wie bei jedem ihrer Ehemänner versucht sich in sie zu verlieben, aber was sie wirklich traurig machte war, dass er sie nicht schwängern konnte. Tausend Mal hatte sie sich ihm hingegeben. Sie hatte jede Menge Stellungen versucht, damit ihm einerseits nicht langweilig wurde und anderseits erhoffte sie eine Stellung zu finden, welche eine Schwangerschaft erleichterte. Aber wie immer war der Sex vollkommen sinnlos gewesen.
Selene hatte bei der Zehnjahresfeier des Beitritts Kubas als Bundesstaat Nummer vierundsechzig zur nordamerikanischen Allianz ihren Urlaub in Havanna verbracht. Betrunkene Männer, die feierten waren eine leichte Beute und stockten ihr Gefolge auf. Sie hatte mittlerweile rund zwölftausend Sklaven, aber da diese im Gegensatz zu ihr alterten und irgendwann starben, musste sie regelmäßig neue Sklaven finden, die für sie arbeiteten und sie mit Blut und Arbeitskraft versorgten. Entsprechend unterwarf sie im Schnitt täglich einen weiteren Mann mit einmaligem Sex, der anschließend für sie voller Freude arbeitete.
Ihr Ehemann hatte sein Vermögen mit Sklavenhandel gemacht. Seit der Wirtschaftskrise in den dreißigern war das Verbot der Sklaverei schrittweise ausgehöhlt worden. Erst konnten sich überschuldete Menschen in ein lebenslanges vorschüssig bezahltes Arbeitsverhältnis begeben und bekamen im Gegenzug ihre Schulden erlassen. Später wurden Schwerverbrecher zu Zwangsarbeit herangezogen und von den Gefängnissen vermietet.
Im Nachgang des Krieges verblieben Millionen gefangenen Soldaten der Gegner in Gefangenschaft und wurden zu Zwangsarbeit herangezogen. Immer zahlreicher wurden die Möglichkeiten der legalen Sklaverei. Ihr Mann hatte sich darauf spezialisiert Sklaven aus Osteuropa zu importieren und an die Fabriken im Norden zu liefern. Nachdem die Sowjetunion kollabiert war, waren die Menschen dort eine leichte Beute. Die Menschen wurden zwar in Europa gegen ihren Willen gefangen, aber nach den Import nach Amerika waren sie legal.
Noch waren erst zehn Prozent der Menschen also rund 450 Millionen auf der Welt Sklaven, aber die Tendenz war deutlich steigend. Sklavenjäger aus der ganzen Welt fingen Menschen auf der Straße und entführten sie in andere Länder, um sie dort zu verkaufen. Sobald sie die Grenze passiert hatten, waren die Sklaven auch legal und wurden nur selten an die eigene Familie zurück verkauft. Aber wie immer betraf diese Praxis nur die ärmsten. Reiche Länder konnten ihre Bürger sehr viel besser schützen. Selene fand die Entwicklung nicht gut, aber da sie selbst tausende Sklaven hielt, konnte sie diese Praxis kaum kritisieren.
Das größere Problem als die Sklaverei war aber, dass nach einem Jahrzehnt der sexuellen Freiheit nun das Rad der Geschichte zurückgedreht wurde. Frauen durften weder verhüten, noch abtreiben und sich auch ihren ehelichen Pflichten nicht entziehen. Die erstarkenden Stimmen der religiösen Fundamentalisten setzten sich immer mehr durch. Nicht dass Selene sich auch nur eine Nacht ihren ehelichen Pflichten entzog, aber sie mochte es nicht gezwungen zu werden. Sie hatte Sex, weil sie schwanger werden wollte und nicht weil ihr Körper das Eigentum ihres Mannes war.
Auch die Spannungen zwischen den Rassen wurde immer mehr zum Problem. Die Latinos hatten nicht nur spanisch als ihre Sprache verboten bekommen und mussten die englische Amtssprache benutzen, sondern wurden genau wie die Schwarzen immer unfairer vom Justizsystem verfolgt. Das Ziel war offenbar so viele wie möglich von ihnen wegzusperren, zu versklaven und bei Ungehorsamkeit sogar zu kastrieren.
Selene war durch ihren Reichtum von bald fünf Milliarden Dollar sicher, aber sie sollte bald heiraten. Schwer zu sagen, wie lange sie als Frau noch Rechte hatte. So schön es auch war, die Sonne der karibischen Bundesstaaten zu genießen, fühlte sie sich doch in den Großstädten des Nordens wohler. Sie hatte die Yacht in Florida verkauft und würde jetzt nach Chicago ziehen un
d dort Beute suchen.
* * *
In ihrer ersten Nacht in Chicago beschloss Selene eine einheimische Speise zu versuchen. Bei Anbruch der Nacht begab sie sich in die Stadt und suchte ihre Beute. Schließlich sah sie einen Mann, der allein war und entsprechend keinen Widerstand leisten konnte. Wie aus dem Nichts tauchte sie vor ihm auf und gab ihm einen Kuss. Beute nahm das jeden Fluchtinstinkt und ließ das Blut besser schmecken.
Selene trank im Schutz der Dunkelheit von ihrem ersten Opfer noch auf offener Straße. Sie ließ ihn über ihre enge Lederkleidung streicheln, aber sie konzentrierte sich auf seinen Hals. Als sie fertig mit Trinken war, stand sie auf. Erst jetzt bemerkte sie eine Überwachungskamera, welche auf sie und ihr Opfer gerichtet war. Im Süden gab es das noch nicht. Aber in Chicago waren die jetzt offenbar Standard. Zumindest bei einer großen Bankfiliale, vor der Selene ihr Opfer gefunden hatte.
Es war zwar ziemlich dunkel, aber das Licht der Straßenlaternen dürfte genügen, damit man sie erkennen konnte. Wer auch immer gesehen hatte, wie sie von ihrem Opfer getrunken hatte, könnte sie genau beschreiben und vor allem wüsste er auch was sie war. Sie war ein Monster, welches sich von Menschen ernährte. Obwohl sie sich alle Mühe gab, ihre Beute nett zu behandeln und nie mehr trank, als diese spenden konnten, ohne ernsten Gefahren für ihr Leben ausgesetzt zu sein, würde man sie jagen. Selene würde sich wehren, aber man würde sie früher oder später kriegen. Man würde sie fangen und töten. Nur mit viel Glück würde man sie stattdessen zu einer Sklavin machen. Keinen würde es interessieren, dass sie vor dreißig Jahren im Krieg geholfen hatte. Und falls doch, würde es man es nur als Beweis ihrer Schuld ansehen.
Als Selene klar wurde, was ihr blühte riss sie die Kamera herunter und zerstörte sie. Glücklicherweise stand auf der Kamera der Name der Sicherheitsfirma, welche hier tätig war. Es war leichtsinnig direkt vor einer Bankfiliale ihren Durst zu stillen. Sie würde sich beeilen müssen. Diese Nacht würde sehr viel Blut fließen. Sie hoffte es würde nicht ihres sein.
* * *
Selene hatte es eilig, aber sie wollte nicht noch von weiteren Kameras gefilmt werden. Also sprang sie auf die Feuerleiter über ihr und nach zwei weiteren Sprüngen war sie auf dem Dach. Sie hatte entgegen ihrer sonstigen Regeln ihrem Opfer auch noch das restliche Blut ausgesaugt und seine Leiche anschließend in einer Mülltonne entsorgt. Die Leiche würde sie später noch richtig entsorgen müssen, aber im Moment hatte sie dafür keine Zeit. Aber sie war wenigstens satt.
Selene fühlte, dass ihr Gewissen an ihr nagte. Es machte einen Unterschied, ob man einen Menschen direkt tötete oder einfach solange als Sklaven hielt, bis sie vor Altersschwäche oder sexueller Lust starben. Das erste Mal in ihrem Leben hatte sie absichtlich getötet. Zumindest seit dem Krieg. Sie war eindeutig ein Monster und diese Nacht würden noch viele Menschen sterben. Sie verdrängte ihre Schuld und sprang von Dach zu Dach um das Gelände der Sicherheitsfirma zu erreichen. Selbst mehrspurige Straßen stellten kein Hindernis dar, welches sie zurück auf den Boden brachten. Sie sprang einfach weiter.
Als sie eine Minute später das Gelände in drei Kilometern Entfernung erreichte, sondierte sie kurz die Lage von einem benachbarten Gebäude aus. Natürlich waren alle Eingänge mit Kameras bestückt und zusätzlich gab es Wachen an jeder Tür. Das Gebäude war freistehend und einen Stock höher als alle anderen der Umgebung. Unmöglich, da unbemerkt einzudringen. Sie würde schnell und hart zuschlagen müssen, damit keine Verstärkung von außen kam. Polizei konnte sie nicht auch noch gebrauchen.
Sie brach einige Sprossen aus der Feuerleiter des Gebäudes auf dem sie stand und fühlte jede einzelne kurz in der Hand, um sie auf ihre Flugeigenschaften hin zu überprüfen. Dann schlug sie zu. Sie zerstörte als erstes den Verteilerkasten für Strom und die Telefonleitung durch gezielte Würfe mit den Leitersprossen. Als nächstes waren die Sicherheitskameras dran, welche durch die Kollision mit den metallenen Sprossen zerfetzt wurden.
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br style="outline-style: initial; outline-width: 0px; color: #303030; font-family: Roboto, -apple-system, BlinkMacSystemFont, 'Helvetica Neue', Arial, sans-serif; font-size: 18px; background-color: #f5f5f5;" />Es hatte nur fünf Sekunden gedauert alle technischen Sicherungen zusammen mit der Beleuchtung auszuschalten und dann griff Selene selbst an. Sie schlug die Wachen am Eingang mit nur einem Schlag gegen den Kopf nieder, aber es reichte sie zu töten. Man würde später nur schwer feststellen können, ob sie an gerissener Wirbelsäule oder an dem Schädelbruch gestorben waren.
Sie war ein jagendes Raubtier und tötete jeden der Wachen im Außengelände, bevor sie die Tür aufbrach um ins Gebäudeinnere einzudringen. Sie brauchte kein Licht, um sich zu orientieren, ihr reichten die Geräusche, welche die ganzen Mitarbeiter hier machten. Die Wärmestrahlung ihrer Körper half natürlich auch. Wie jedes richtige Raubtier hatte sie scharfe Sinne und dazu gehörte es die Wärme ihrer Opfer sehen zu können. Sie tötete jeden von ihnen, die meisten wussten noch nicht mal, dass sie angegriffen worden, bevor sie starben.
Der gesamte Angriff dauerte nur zwei Minuten, aber in der kurzen Zeit hatte Selene fast hundert Menschen getötet. Selene suchte nun die Aufnahmen der Nacht und sammelte alle Videokassetten ein. Sie aktivierte kurz den Notstromgenerator, um sicherzugehen, dass sie auch die richtige Kassette hatte. Als sie sich auf der Aufnahme sah, war sie beruhigt und machte sich daran ihre Spuren zu verwischen.
* * *
Nachdem Selene das Gebäude der Sicherheitsfirma niedergebrannt hatte und die Leichen aller von ihr getöteten Wachen im See versenkt hatte, war sie sich sicher, dass niemand erfahren würde, dass sie existierte. Auch ihr erstes Opfer der Nacht lag nun auf dem Grund des Sees dreihundert Kilometer nördlich der Stadt. Niemand würde sie jagen. Natürlich würde es auffallen, dass ein so großes Gebäude brannte und fast hundert Menschen verschwunden waren, aber man würde es den Bandenkriegen zuschreiben. Vielleicht auch den mexikanischen Separatisten. Wahrscheinlich würde man tausende Latinos wegen ihrer Tat einfangen und versklaven.
Ihr Reichtum und ihre Vorbereitungen hatten sie diese Nacht beschützt. Ihre Sklaven hatten mit zwei LKW die Leichen zum Hafen gebracht und in eines ihrer Schiffe geladen. Es war ein zweihundert Meter langer Frachter für Getreide und würde sie in Montral absetzen. Selene hatte die Leichen nicht selbst zerlegt, dafür waren ihre Sklaven ja da, sie hatte nur das Blut abpumpen und einlagern lassen, damit die Toten wenigstens eine kleine Verwendung hatten.
Selenes Gewissen machte ihr aber zu schaffen. Sie war sich sicher, dass sie nicht auf dieser Welt war, um zu töten. Sie würde viel lieber Menschen beschützen, als sie zu töten. Es war nicht nur eine Verschwendung von kostbarem – wahrscheinlich sogar leckerem – Blut, welches nun nicht mehr von den Körpern produziert werden konnte, sondern die Menschen hätten ihr auch ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen können. Die modernen Überwachungstechniken hatten sie gezwungen sich zu wehren. Sie hatte in nur einer Nacht so viele Menschen getötet, wie sie in dem letzten Jahr vor einer Krankheit gerettet hatte. Wenigstens waren es nur Männer und keine Frauen, die sie getötet hatte.
Eigentlich sollte man sie töten oder wenigstens einsperren. Wenn sie in einem Gefängnis sicher eingesperrt wäre, würde sie nie wieder töten müssen. Aber sie spürte, dass sie eine Aufgabe hatte, welche erforderte sowohl lebendig als auch frei zu sein. Sie musste dafür sorgen, nicht mehr die einzige ihrer Spezies zu sein. Ein Gewissen war dafür genauso irrelevant, wie guter Sex. Selene beschloss nicht mehr über die zerstückelten Leichen am Grund des Michigansees nachzudenken. Sie konzentrierte sich wieder auf ihr Ziel.
Selene beschloss in Zukunft vorsichtiger zu sein. Sie würde sich in ab sofort erst vergewissern, dass keine Überwachungskameras herumstanden, bevor sie jagte. Am besten sollte sie ihre Opfer im Freien auch nur verführen und hinter geschlossenen Türen von ihnen trinken. Ihren nächsten Mann würde sie nun doch in Europa suchen. Sie hatte gehört, dass die dortige Modeszene mittlerweile ein neues Material für sich entdeckt hatte. Gummi.
Sie konnte sich zwar noch nicht vorstellen das gleiche Material an sich zu tragen, aus
dem Autoreifen hergestellt wurden, aber angeblich war es viel bequemer als ihr bisheriges Outfit aus Leder. Und passte sich dabei der Figur der Trägerin noch besser an als alles bisher Dagewesene. Selene beschloss es für sich auszuprobieren. Möglicherweise gefiel es ja auch ihrer Beute und ihrem zukünftigem Ehemann.
Und um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen beschloss Selene, der Menschheit zu helfen, indem sie die gefährlichsten Mitglieder auslöschte. Wie in dem Krieg. Nur dass sie diesmal nicht vorhatte Staaten zu besiegen, sondern diesmal würde sie sich auf Terroristen konzentrieren. Vielleicht auch Mafiabosse. Deren Geld brauchte sie zwar nicht als mittlerweile reichste Frau der Welt und wenn man Herrscher von Monarchien nicht mitrechnete auch die reichste Person der Welt, aber sie würde den Toten trotzdem so viel abnehmen, wie sie konnte. Geld konnte Frau nie genug haben.
Sie funkte ihre Londoner Sklaven an, dass sie alles für ihre Ankunft vorbereiten sollten. Sie musste vorbereitet sein, falls auch diese Stadt kurzfristig verlassen werden musste. Vier Tage hatten ihre Sklaven noch zur Vorbereitung. In der Zwischenzeit würde Selene sich mit der Mannschaft des Schiffes amüsieren. Die dreißig Seeleute würden jeden Tag das Vergnügen ihrer Gesellschaft genießen. Auch wenn die Chancen minimal waren, wollte Selene keine Gelegenheit auslassen um geschwängert zu werden. Blut hatte sie im Moment genug eingelagert und entsprechend ging es ihr nur um das Sperma der Mannschaft.